Computer und Design-Geschichte

Als ich mein Design-Studium begann, war die Benutzung von Computern eine Domäne der Sekretariate und Buchhaltungen. Dort saß man vor großen Röhrenmonitoren, die weiße Schrift auf grünem oder bernsteinfarbenem Hintergrund wiedergaben. Text, Tabellen und unförmig gezackte Grafiken gehörten zu Computern wie unförmige, hässlich eckige Typografie. Das Internet gab es noch nicht. Dafür gab es Datenträger für den Austausch von Dateien.

Wer sich ernsthaft mit Design und Gestaltung beschäftigte, machte einen großen Bogen um die unförmigen Stromfresser.

Designstudium hieß Gestaltung mit Farben und Tuschen aus Tuben und Gläsern oder Markern. Zur Grundausstattung zählten unzählige Stifte, Farbtuben und  -gläser, Rotmarderhaarpinsel von DaVinci oder Borstenpinsel, sündhaft teure Papiere, Ziehfeder und Isografen in diversen Strichstärken, Skalpelle, Cutter, Fixogum- oder BestTest-Dispenser, Fadenzähler, Farbkarten, Spiegelreflexkamera, Airbrush und Kompressor, Tischbesen, Reißbrett, Lineale und vieles mehr.

Der Entwurf von Schriften geschah mit Tusche auf Zeichenkarton und Transparentpapier. Jeder Buchstabe wurde konstruiert und musste sich in das Schriftbild harmonisch einfügen. Die Kunst, eine Schrift zu entwerfen, versteht nur, wer diesen Aufwand einmal betrieben hat. Schriften, die mit großer Selbstverständlichkeit heute auf jedem Computer zur Verfügung stehen, wurden zum größten Teil so entworfen, wie es damals an der Hochschule gelehrt wurde. Interessanterweise sind dies die Schriften, die bis heute als die Schriften höchster Qualität und Popularität gelten. Im Studium lernte ich bei Vorträgen Adrian Frutiger, den Schöpfer der gleichnamigen Schrift, und Kurt Weidemann kennen, der soeben seine Weidemann-Schrift entworfen hatte.

Design war von Hand gemacht. Es ging von 8 bis 20 Uhr täglich in die Uni, nachts und in den Ferien wurde gejobbt um das teure Studium und die Miete zu finanzieren. 14 Semester waren vorgesehen und nötig um das Pensum der unterschiedlichsten Fachbereiche zu absolvieren. Ein kreativer, anregender Lebensabschnitt voller Anregungen.

1984 geschah etwas. Ein Professor kaufte einen Computer. Einen Computer für Designer. Einen Computer der anders war und das Leben der Designer und der ganzen grafischen Industrie revolutionieren sollte. Es war der erste Macintosh. Direkt im Erscheinungsjahr. Steve Jobs hatte ihn soeben vorgestellt. Wir durften als Studenten eine Einführung in das neue System belegen. Wer die Einführung hatte, konnte den sündhaft teuren Computer nutzen. Die Wartelisten waren schnell voll und so hatte man oft nur ein kleines Zeitfenster mitten in der Nacht um das neue Werkzeug zu nutzen. Dafür gehörten wir zu den ersten Macintosh-Anwendern Deutschlands.

Zu Beginn hatte der Rechner noch keine Festplatte. Wollte man das Textprogramm oder später Aldus Pagemaker (der frühe Ahne von Indesign) benutzen, um eine Seite zu gestalten, dann musste die Systemdiskette eingelesen werden, dann schob man die Programmdiskette in den Computer, der las sie ein, spuckte sie wieder aus, verlangte die Systemdiskette, las sie ein, spuckte sie aus, verlangte wieder die Programm-Diskette …. Das ging etliche Male hin und her, bis das Programm geöffnet war. Wow. Auf dem winzigen Bildschirm war ein weißes Blatt, nicht grün, nicht bernsteinfarben – weiß. Die Schrift war schwarz und sie sah aus wie richtige Schrift. Das war revolutionär. Noch revolutionärer: die Maus. Man musste keine kryptischen Befehle eintippen – man zeigte mit dem Mauszeiger was man machen wollte. Intuitiv. Unglaublich und damals unvorstellbar. Die Faszination kann heute niemand mehr nachvollziehen. Man suchte sich eine Schrift aus und wollte die Seite gestalten … dann ging das Diskettenwechselspiel von vorne los: Systemdiskette, Programmdiskette, Schriftdiskette … rein, raus, rein raus. Schließlich konnte man sich aber eine Seite gestalten, die auf dem Bildschirm so aussah, wie sie später auf dem Papier aussah. Auch das war zu dieser Zeit revolutionär. Das neue Modewort wurde WYSIWYG, die amerikanische Abkürzung für „what you  see is what you get“ 

Ausgedruckt wurde nicht auf einem der üblichen lärmenden Nadeldrucker, sondern auf der nächsten genialen Erfindung: einem Laserdrucker. Das Gerät hatte die Preisklasse eines PKW.

Die Abteilung an der Hochschule wurde ausgebaut. Schnell gab es zusätzliche Diskettenlaufwerke, so dass man weniger Diskettenwechsel hatte, dann gab es die ersten Festplatten und mit ATM wurden Schriften plötzlich so präzise abgebildet, dass WYSIWYG eine neue Bedeutung bekam.

Es gab allerdings nur Schwarz-Weiß-Ausdrucke, so dass wir mit Klebelayouts arbeiteten und mit Markern kolorierten. Letraset entwickelte spezielle Farbfolien für Laserausdrucke, die sich bei Hitze mit dem Toner verbanden. So wurden die Layouts immer realitätsnäher. Vieles blieb aber Handarbeit. Man entwickelte Mischtechniken… sehr arbeitsaufwendig aber auch sehr kreativ.

So schloß ich mein Studium ab mit der Erfahrung aus zwei Welten. Analoges und digitales Design. 

Apple Computer waren schnell Marktführer im grafischen und kreativen Gewerbe, allerdings für selbstständige Berufsanfänger – heute würde man Start-Ups sagen – unbezahlbar. Das  brachte Atari auf den Plan. Der ehemalige Arbeitgeber von Steve Jobs war bisher für Spielekonsolen (darunter das legendäre „Pong“) bekannt. Der Erfolg der Macintosh Computer führte aber dazu, dass Atari leistungsfähige Computer mit einem ebenfalls mausgesteuerten GEM-Betriebssystem auf den Markt brachte. Bezahlbare Computer unter dem Slogan „Power without the Price“.

Wie der Macintosh wurde der Atari ST von einem Motorola 68000 Prozessor angetrieben. Er erhielt einen besseren Monitor als der Mac, besseres Design, mehr Speicher, eine vollwertige Tastatur, eine Zwei-Tasten-Maus und ein Betriebssystem, dass sich auf der Hardware befand und deshalb blitzschnell startete. Der Atari 1040ST wurde mein erster ernstzunehmender privater Computer. Zu Beginn musste auf Public Domain-Software zurückgegriffen werden, bis sich deutsche Softwarehäuser an die Entwicklung professioneller Software machten. Über einen Wettbewerb gelangte ich an eine der ersten Versionen der professionellen DTP-Software Calamus. Die Software war bereits in der Grundversion besser als die seinerzeitige DTP-Software auf den Macintosh-Computern. Da ich als einer der ersten Designer auf dieser Plattform arbeitete, stellte mir die deutsche Niederlassung von Atari eine der ersten Festplatten des neu herausgekommenen Atari Mega ST zur Verfügung und stellte den Kontakt zu einem Frankfurter Computerhaus her. Dort wurde ich freier Berater für das Atari-DTP-System und beriet Designer und Kreative auf Messen und Hausmessen. Über das dort verdiente Geld gelangte ich an das damalige Spitzen-Modell Atari-MegaST 4 und besaß damit ein leistungsstarkes Werkzeug, welches sich vor Macintosh-Equipments nicht verstecken musste.

Ein preiswerter, leistungsstarker Laserdrucker rundete das Paket ab. Mein Engagement führte schließlich dazu, dass ich als Designer und Art-Direktor bei dem Softwareentwickler von Calamus eingestellt wurde. Dort entwickelte und gestaltete ich Werbung und Marketing für das Produkt, testete die neuesten Software-Versionen, war für Consulting und Kundenberatung zuständig und präsentierte die Produkte auf zahlreichen Messen. Auf der CeBit präsentierten wir neben Motorola und Atari und mussten uns vor den Wettbewerben nicht verstecken. In dieser Zeit wurde Calamus SL entwickelt, ein modulares, hochmodernes DTP-System, welches über Module unbegrenzt erweitert werden konnte. So ließen sich Vektorgrafik-Software und Bildbearbeitung unmittelbar in das Programm einbinden. Atari baute für diese Software die passende Hardware. Der Atari TT mit 68030 Prozessor, schneller Grafikkarte und interner, austauschbarer Festplatte war zu dieser Zeit unverschämt leistungsstark und erlaubte Hardware-Erweiterungen, die völlig neue Möglichkeiten für Designer und das grafische Gewerbe mit sich brachten.

Der TT eröffnete weitere Möglichkeiten und schließlich schlug Calamus SL die damals führende Macintosh-DTP-Software Quark XPress bei den europäischen Verkaufszahlen um Längen. Beeindruckend war die Möglichkeit, auf einer Seite unterschiedliche Raster, vom Punktraster über eckige oder ovale Raster bis zum frequenzmodulierten Raster zu verwenden – Calamus SL arbeitete nämlich mit Softripping und umging die Einschränkungen des damaligen Postscript.

Meine Tätigkeit beim Entwickler öffnete mir die Tür, als freier Redakteur in führenden Computermagazinen zu arbeiten und dort regelmäßig Beiträge zu veröffentlichen. 

Als Atari von der Bildfläche verschwand, starben mit Zeitversatz die deutschen Softwarehäuser und zahlreiche geniale Softwarelösungen mit ihnen. Ich wechselte rechtzeitig in die Verlagsbranche zu einem renommierten Buchverlag in Frankfurt am Main.

Der Verlag stellte mich als ArtDirektor ein – branchenüblich hieß die von mir gegründete Abteilung „Grafik“. Meine Aufgabe war die Gestaltung der Buchcover für Paperbacks und der Schutzumschläge und Schuber für die Hardcover des umfangreichen Verlagsprogramms, die Gestaltung und der Satz der Verlagsvorschauen und Werbedrucksachen vom Flyer über Plakate bis zu Broschüren – aber auch den Jahres-Wochen-Kalender der Anderen Bibliothek, der es als einziger Quasi-Werbekalender schaffte, lobend im Feuilleton der Zeit besprochen zu werden. 

Der neue Bereich des Verlags wurde zunächst mit einem Windows-PC ausgestattet. Für mich war das PC-System auf Basis eines 486er-PC ein Rückschritt in ein umständliches und keinesfalls intuitives Betriebssystem mit instabiler, langsamer Software. Auch mit diesem System ließen sich natürlich ästhetische Drucksachen erstellen, allerdings stürzten Programme und das System regelmäßig ab und erforderten zahlreiche Überstunden und Techniker-Einsätze. Zudem war die Software auf dieser Plattform damals äußerst fehlerhaft und in den Komponenten häufig inkompatibel.

Die zahlreichen Ausfälle der damals noch so instabilen Windows-Systeme führten schließlich dazu, dass man mir die Umstellung der Grafik auf Macintosh-Rechner freigab.

Zehn Jahre nach dem ersten Kontakt mit dem Macintosh, zehn Jahre nach dessen erster Vorstellung stellte ich die Grafikabteilung des Verlags vom PC auf den Mac um. Es sollte sich lohnen. Die regelmäßigen Arbeitsunterbrechungen und ständigen Technikereinsätze, die Systemabstürze, die fehlerhaften Ergebnisse durch falsche Farbverarbeitung fielen weg. Plötzlich machte das System was es sollte und ich konnte mich auf meine Arbeit, auf Gestaltung und Produktion konzentrieren. Es war die Zeit der Quadra-Computer, der Syquest- und MO-Laufwerke und der ISDN-Verbindungen zum Dienstleister, der 24 Zoll Röhrenmonitore. Als Software kamen auf dem damals neuen Macintosh Quadra 840AV Quark XPress, Freehand, Illustrator und Photoshop zum Einsatz und natürlich die Office-Software von Microsoft. Die Software und die Updates wurden noch auf zahlreichen Disketten geliefert. Entsprechend umständlich waren Updates und entsprechend umfangreich waren die Diskettensammlungen.

Die Gestaltung war endgültig auf dem Computer angekommen. Ich produzierte über 800 Buchcover, Schutzumschläge, Schuber. Jedes Cover hatte mindestens 5 Gestaltungsvorschläge hinter sich. Zahlreiche Verlagsvorschauen und Werbedrucksachen.

Zwangsläufig stieg ich auch privat vom Atari, auf dem ich noch weiterhin als Redakteur für Computermagazine getestet und geschrieben hatte … bis sie nach und nach eingestellt wurden, auf meinen ersten Mac um. Es war ein Performa 630, der in einem Angebot mit Aldus Pagemaker angeboten wurde. Dazu kam ein 17 Zoll Röhrenmonitor und ein Agfa-Scanner, der mit Photoshop 2.5 ausgeliefert wurde. Neben der Hardware hatte ich damit leistungsstarke Software zur Verfügung.  Pagemaker war im Vergleich zu Calamus SL zwar ein deutlicher Rückschritt, aber es ließ sich nach dem Ende von Atari endlich wieder auf einer stabilen und etablierteren Plattform arbeiten.

Die neue Hard- und Software-Ausstattung erlaubte mir, die Gestaltung, das Layout und den Satz eines umfangreichen, wissenschaftlichen Buches über die englische Kulturgeschichte. Das zahlreiche Bildmaterial scannte ich auf dem Agfa-Scanner und bearbeitete es mit der frühen Photoshop-Version. Für Layout und Satz musste Aldus Pagemaker herhalten. Die Software übernahm die Texte aus Word und war in der Lage, die vielen Indexmarken zu erkennen, was bei der Aufbereitung des wissenschaftlichen Werkes recht hilfreich war.